Schicksal von Zeruya Shalev

In dem Roman SCHICKSAL von Zeruya Shalev tritt eine Frau mittleren Alters eine Reise in die Vergangenheit an. Sie entdeckt die große Liebe ihres verstorbenen Vaters und eine bewegte Geschichte ihrer Heimat Israel. Normalerweise lese ich nicht mehr so gern Bücher der israelischen Autorin. Weiter unten erfahrt ihr, warum. Aber die Kritiken über diesen Roman waren so unterschiedlich. Ich musste es lesen.

Die 50-Jährige Architektin Atara hat keine besonders innige Verbindung zu ihrem Vater. Er ist hart und distanziert. Auf seinem Sterbebett hält er die eigene Tochter für eine längst verlorene Liebe: Rahel. Welche Rolle diese geheimnisvolle Frau in seinem Leben spielte, möchte Atara unbedingt herausfinden. Sie muss Rahel finden. Das gelingt ihr zunächst auch. Aber Rahel macht es ihr nicht einfach, denn alte Wunden reißen auf. Doch Atara möchte ihre Fragen stellen. Dabei verliert sie das eigene Familienleben aus dem Blick und rudert in eine persönliche Katastrophe.

Am Anfang war Israel.

Zeruya Shalev schreibt – mal wieder – in ihrem Roman SCHICKSAL über Familienirrwege und die Liebe. Sie schenkt uns auf vielen Zeilen spannende Informationen über die Vergangenheit des „gelobten Landes“. Dafür sind wir dankbar, denn was wissen wir Gojes schon über Israel?
Nichts.
Es sei denn, wir hören davon in den Nachrichten oder lesen in der Zeitung.
Trotzdem: Israel, wer bist du?

Wenige von uns beschäftigen sich wirklich intensiv mit diesem Land. Vielleicht mag es für die eine oder den anderen ein spannendes Reiseziel sein. Doch wer kennt die Geschichte Israels wirklich und damit meine ich nicht den Teil mit dem „gelobten Land“. Israel ist mehr als nur das „gelobte Land“ Es hat viele Facetten und diese sind zuweilen düster.

schicksal von zeruya shalev

Der Roman SCHICKSAL von Zeruya Shalev führt uns ins heutige und vergangene Israel. Vor allem das Damals des Landes ist unglaublich spannend. Das wackelige Israel in Zeiten, in welcher der Terror stündlich zu spüren war. Und hier kommt Rahel wieder ins Spiel. Denn die 90-Jährige war einst Mitglied der „Lechi“, eine Widerstandsgruppe gegen die britische Mandatsherrschaft in Palästina. Diese Untergrundgruppe verübte Anschläge jeglicher Art, ähnlich der RAF. Atara erfährt im Verlauf der Geschichte, dass ihr Vater ebenso Mitglied der Organisation war. Wegen eines Ereignisses während dieser Zeit zerbricht seine Liebe zu Rahel. Die beiden entfremden sich, verlieren sich völlig.

Während Atara auf den Spuren der Vergangenheit ist, erkrankt ihr Mann. Bereits bei der ersten Zeile wusste ich, dass er sterben wird. Einzig Atara sieht es nicht kommen, weil sie zu beschäftigt ist, Rahel zu finden, Rahel zu fragen. Rahel, die so abweisend ist. Als Ataras Mann stirbt, will und kann sie es nicht wahrhaben. Und während ich als Leser denke, tja, ich habe es schon hundert Seiten weiter vorn geahnt, überrumpelt mich das Leid der Witwe. Sie wirkte bis dahin ruhelos und wenig liebevoll. Beschäftigt und weniger leidenschaftlich. Ataras Festhalten des nun plötzlich so leblosen Körpers, das Abdriften in Momente, die es nicht mehr geben wird, berühren mich. Diese Passagen neben des geschichtlichen Exkurses waren das Stärkste am Roman. Zeruya Shalev beschreibt Ataras Trauma über den plötzlichen und so schnellen Tod des Mannes sehr gefühlvoll und sprachlich intim.

Mein Fazit

zu SCHICKSAL von Zeruya Shalev

Der Roman SCHICKSAL ist kein Buch, das mit seiner Schicksal behafteten Geschichte überzeugt. Schicksale gibt es unendliche viele auf der Welt, und dieses ist eins unter Millionen. Ich sehe hieran nichts Besonderes, aber darum geht es nicht. Eindrucksvoll waren die Details um ein Land, dass ich mich persönlich schon immer faszinierte und so viele Menschen schicksalhaft vereint. Shalevs Ausschnitte machen Israel nahbar und schürt meine Faszination noch mehr. Abschreckend dagegen sind die Abhandlungen zum fortwährenden Autofahren, im Stau stehen, Essen, Liegen, Sitzen. Die kleinen Momente des Alltages waren endlos ausgeschmückt, Sekunde für Sekunde aneinandergereiht, Augenblicke, in denen so wenig passiert und die wir alle tagtäglich hundertfach erleben. Manchmal fühlte ich mich wie bei BIG BROTHER. Ich möchte nicht mit Figuren Tee für Tee kochen, im Bett liegen und im Stau stehen. Ich möchte den Figuren nicht auf die Pelle rücken und hinterher tippeln. Das langweilt mich. Ich will mit ihnen in Welten tauchen, die mir fremd sind, Gedanken teilen, die mich erschrecken.

In Zukunft wieder Bücher von Zeruya

Überaus positiv fiel die Form des Romans auf. Denn Shalev brach mit ihrem Markenzeichen: die endlosen Sätze, aneinander gereiht mit Kommas, über ganze Buchseiten. In SCHICKSAL fehlen diese Sätze vollends. Und ich bin einfach so dankbar dafür. Denn das trieb mich so manches Mal in den Wahnsinn und ich entschied: Nein, nie wieder ein Buch von ihr. Pardon, ich habe dennoch sehr großen Respekt vor ihrer Arbeit.

Auch wenn mich dieser Roman nicht vollends überzeugte und ich das Ende herbeisehnte, habe ich viel Schönes darin entdeckt und würde es bedauern, ihn nicht gelesen zu haben.
Israel, ich komme zu dir! Ich freue mich schon darauf!

Mein Lieblingssatz

Doch gerade an diesem Tag waren die Scharfschützen ihnen gnädig gewesen, nicht ein Schuss wurde auf die Wagenkolone abgefeuert, und als der Bus wohlbehalten in Tel Aviv ankam, fiel es schwer auszusteigen.

Schicksal, Zeruya Shalev
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Schicksal
von Zeruya Shalev

berlin Verlag (Piper Verlag)

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